20.03.2023 – Die deutsche Industrie soll bis 2045 klimaneutral werden. Doch was können Unternehmen und Betriebe tun, um dieses Ziel zu erreichen? Welche Maßnahmen sind die jeweils Richtigen für den kleinen Bäckereibetrieb auf der einen und den Großkonzern auf der anderen Seite? Der E-Quadrat-Hintergrundbericht zur Energiewende in Industrie & Gewerbe gibt Antworten.
Deutschland will als eine der ersten Industrienationen weltweit bis 2045 klimaneutral werden. Dafür sind insbesondere Industrie und Gewerbe in Sachen Energiewende gefordert. Warum das so ist, wird mit einem Blick auf den Status quo deutlich: mehr als 1.000 Terawattstunden (TWh) Energie verbrauchten industrielle und gewerbliche Betriebe im Jahr 2021, wodurch rund 120 Millionen Tonnen CO2-äquivalente Treibhausgasemissionen ausgestoßen wurden. Für das Jahr 2022 sind die Zahlen ebenfalls ernüchternd: Aufgrund der Energiekrise waren viele Unternehmen gezwungen, ihre Energieversorgung vom teuren Erdgas auf Erdöl und Kohle umzustellen. Zwar sank der Energieverbrauch infolge dieses Fuel Switch und einer insgesamt verminderten Produktion, die CO2-Emissionen sind im Vergleich zu 2021 jedoch nochmals gestiegen – insgesamt 173 Millionen Tonnen und damit etwa 23 Prozent aller deutschen Emissionen hat allein die Industrie laut einer aktuellen Studie des Thinktanks Agora Energiewende im vergangenen Jahr verursacht.
Doch was kann der vielzitierte Bäckereibetrieb tun, um die Energiewende voranzutreiben und gleichzeitig eine Entlastung auf Kostenseite zu erreichen? Welche Möglichkeiten hat ein Großkonzern, um Energien in der Produktion einzusparen und damit die eigenen Treibhausgas-Emissionen zu reduzieren? Welche Rolle spielen Last- und Energiemanagementsysteme für eine verbesserte Energie- und Kosteneffizienz?
Erneuerbare allein reichen nicht
Ein erster wichtiger Schritt für Unternehmen stellt der Umstieg auf erneuerbare Energien. Dass viele Betriebe dazu bereit sind, verdeutlicht eine repräsentative Befragung von KfW Research zum Investitionsverhalten deutscher Unternehmen auf dem Weg zur Klimaneutralität. Demnach tätigte 2021 bereits jedes vierte Unternehmen Klimaschutzinvestitionen in Höhe von insgesamt 433 Milliarden Euro. Um jedoch das Ziel zu erreichen, bis 2045 klimaneutral zu sein, „sind Gesamtinvestitionen von 5 Billionen Euro nötig“, kommentiert Dr. Fritzi Köhler-Geib, Chefvolkswirtin der KfW. „Allein private Unternehmen müssen jährlich Investitionen in Höhe von circa 120 Milliarden Euro klimafreundlich ausrichten. Das Ambitionsniveau muss sich folglich in den kommenden Jahren mehr als verdoppeln.“
Gleichzeitig ist klar, dass der Umstieg auf grüne Energie allein die Probleme nicht wird lösen können. Im Gegenteil: je mehr Erneuerbare ans Netz angeschlossen werden, desto größer sind die Belastungen für das Stromnetz. Grund dafür ist die naturgemäß hohe Volatilität bei regenerativen Energien: scheint keine Sonne und weht kein Wind, wird wenig Strom produziert – egal, wie groß oder klein die Nachfrage ist. Damit wird die Steuerung der Netze wesentlich komplizierter. „Ein Klimaneutralitätsnetz muss künftig ganz neue technische und betriebliche Fähigkeiten und Dienstleistungen erbringen“, schreiben auch Anke Hümeburg, Leiterin Energie beim Verband der Elektro- und Digitalindustrie (ZVEI), und PWC-Energieberater Volker Breisig im Vorwort der ZVEI-Studie „Stromnetz der Zukunft“. Eine zentrale Rolle dabei spielt die Digitalisierung der Netze. Bis dato seien die Anforderungen an die zukünftigen Netze jedoch „in den Planungen nahezu vollkommen unberücksichtigt geblieben“, so die ZVEI-Studie. Die Folge: Würden alle bis 2030 geplanten Elektrofahrzeuge und Wärmepumpen ans Netz gehen, würde das Stromnetz kollabieren.
Hinzu kommt, dass der Bruttostromverbrauch in Deutschland steigen wird. In einer vom Bundeswirtschaftsministerium in Auftrag gegebenen Untersuchung kam die Prognos AG zum Schluss, dass sich der Stromverbrauch in Deutschland bis 2030 von 595 TWh im Jahr 2018 auf 658 TWh erhöht. Das ist ein Plus von etwa elf Prozent. Treiber dafür sind nach Angaben von Prognos der Verkehrssektor durch den stetigen Zuwachs von Elektrofahrzeugen, die elektrischen Wärmepumpen in Gebäuden und Wärmenetzen, die Erzeugung von Elektrolyse-Wasserstoff sowie die Produktion von Batterien.
So finden Sie das richtige Beratungsangebot
In Deutschland gibt es eine Vielzahl an Energieberater:innen für verschiedene Bedürfnisse. Der Bundesverband Gebäudeenergieberater Ingenieure Handwerker e.V. (GIH) als bundesweite Interessenvertretung für Energieberaterinnen und Energieberater listet beispielsweise spezielle Expert:innen für Wohngebäude, für Gewerbe und Industrie, für Kommunen und für Denkmäler auf. Wie also finden industrielle und gewerbliche Betriebe den für die eigenen Ziele und Ambitionen richtigen Berater?
Zunächst müssen im Vorfeld einige Fragen geklärt werden: Warum möchten Sie einen Energieberater beauftragen? Wann soll die Beratung erfolgen? Welche Nachweise und Unterlagen benötigen Sie? Und welche Ziele verfolgt ihr Unternehmen?
Sind diese Fragen geklärt, kann die Suche nach einem unabhängigen und zertifizierten Sachverständigen beginnen. Dafür eignen sich die verschiedenen Verbände als erste Anlaufstelle: Auf der Webseite des GIH beispielsweise können Interessierte neben zahlreichen Informationen und Links auch eine eigene Energieberater -Suche durchführen. Dafür müssen Sie lediglich Ihre Postleitzahl und den gewünschten Radius eingeben. Zudem können Sie hier verschiedene Suchkriterien und Details definieren, um für Ihr Unternehmen passenden Berater:innen zu finden.
Über den Bundesverband Verbraucherzentrale e.V. können Interessierte außerdem neben einer postalischen Adresssuche auch direkt eine kostenlose Online-Beratung durchführen. Dafür müssen Sie lediglich Ihre Anfrage per E-Mail-Maske an die Verbraucherzentrale senden und einen Termin für die Online-Beratung vereinbaren.
Eine weitere Möglichkeit, den passenden Energieberater zu finden, ist die Liste der Energieeffizienz-Experten (die sogenannte EEE-Liste), die vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie gemeinsam mit dem Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) und der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) initiiert wurde. Die Liste ist vor allem dann wichtig, wenn Sie finanzielle Förderung vom Staat für Ihre Maßnahmen in Anspruch nehmen wollen. Gepflegt und aktualisiert wird die EEE-Liste von der Deutschen Energie-Agentur (dena).
Wasserstoff als Energieträger der Zukunft?
Was also können der Bäckereibetrieb und der Großkonzern tun, um einerseits die Stromnetze zu entlasten und Energie einzusparen und andererseits wirtschaftlich zu profitieren? Eine Möglichkeit ist beispielsweise die Kombination von Erneuerbaren und Batteriespeichern, die in Zeiten niedrigen Bedarfs Strom zurückhalten, um ihn dann bei steigendem Energiebedarf wieder abgeben zu können. Wie das aussehen kann, hat das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE im Leuchtturmprojekt Haid-Power gezeigt. Dabei haben die Forschenden eine Lösung entwickelt, mit der sich Strom aus erneuerbaren Energien mit Strom aus dem öffentlichen Netz kombinieren lässt. Auftretende Schwankungen in der Energieerzeugung werden dabei durch Batteriespeicher ausgeglichen (mehr dazu auf Seite 47).
Um ein gänzlich anderes, für die Energiewende aber nicht minder wichtiges Versorgungsnetz, geht es beim Forschungsprojekt HyGrid2: Um den Transport von Wasserstoff als Energieträger der Zukunft zu ermöglichen, widmet der österreichische Industriedienstleister Bilfinger derzeit eine stillgelegte Erdgasleitung so um, dass sie grünen Wasserstoff transportieren und direkt zum Verbraucher bringen kann (mehr dazu auf den Seiten 44-45). Insbesondere für die Schwerindustrie sind das gute Nachrichten: In den Hochöfen der Stahlindustrie zum Beispiel reagiert Koks, also Kohlenstoff, mit Eisenerz. Der Koks ließe sich durch Wasserstoff ersetzen. Und da Wasserstoff keine klimaschädlichen Emissionen verursacht, wenn seine Energie freigesetzt wird, könnte die Stahlproduktion damit emissionsfrei werden. Die Salzgitter AG, einer von Deutschlands größten Stahlproduzenten, testete dazu bereits zwischen 2019 und 2022 ein Verfahren, bei dem sie Wasserstoff in Glühprozessen und Verzinkungsanlagen einsetzte. Auch bei der Thyssenkrupp AG steht Wasserstoff im Fokus: so plant der Stahlkonzern bereits 2026 den ersten wasserstoffbetriebenen Hochofen in Betrieb zu nehmen. Damit das funktionieren kann, entwickelt der Industrieriese momentan eine Ammoniak-basierte Möglichkeit, Wasserstoff sicher und über große Entfernungen hinweg zu transportieren (mehr dazu auf den Seiten 26-27).
Kerstin Andrae, Geschäftsführerin des BDEW Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft e.V., sieht Wasserstoff als ein Allround-Talent, „dessen Potenziale zur Senkung der Treibhausgase in allen Sektoren genutzt werden sollten.“ Was jedoch nur wenig Erwähnung findet: Die Herstellung von CO2-freiem, grünem Wasserstoff ist schwierig und kostenintensiv. Mussten Verbraucher im ersten Halbjahr 2022 im Durchschnitt etwa 8 Cent pro Kilowattstunde (KWh) Erdgas zahlen, liegt der Preis für die KWh Wasserstoff bei rund 16,5 Cent. Vielen industriellen und gewerblichen Betrieben fehlen damit schlichtweg die finanziellen Möglichkeiten, um auf Wasserstoff als Energieträger zu setzen. Abhilfe schaffen könnte in diesem Zusammenhang eine Kooperation zwischen der ABB AG und der EDF-Tochter Hynamics. Die Unternehmen arbeiten derzeit daran, ABBs Ability OPTIMAX-Energiemanagementsystem in die Hynamics-Prozesse zu integrieren, um damit rund 16 Prozent in der Produktion von Wasserstoff einsparen zu können (mehr dazu auf den Seiten 22-23).
Energiehandel als Treiber
Ebenfalls mit Spannung verfolgen können Industrie und Gewerbe das Forschungsprojekt effiDCent, in dem die Paul Vahle GmbH & Co. KG als Projekt-Konsortialführer gemeinsam mit der Technischen Universität Dortmund, der Technischen Universität Ostwestfalen-Lippe, der Condensator Dominit GmbH sowie der E-T-A Elektrotechnische Apparate GmbH eine gleichstrombasierte Stromschiene zur industriellen Stromversorgung entwickelt hat (mehr dazu auf den Seiten 34-35). Ziel von effiDCent ist es, Energieeffizienz und Nachhaltigkeit in der Energieübertragung zu steigern und dafür Gleichstrom (DC) anstelle des gängigen Wechselstroms (AC) zu nutzen. Für die Industrie kann ein solcher Wechsel laut Vahle-CEO Achim Dries ein großer Schritt in Richtung CO2-neutraler Produktion sein: „Bislang wird aufgrund der standardmäßig verwendeten Drei-Phasen-400-Volt-Wechselspannung ein eigener Gleichrichter benötigt, der durch eine zentrale DC-Versorgung entfällt. Durch den Wegfall des Gleichrichters wird eine verlustbehaftete Komponente im Gesamtsystem eingespart, was sich positiv auf den Gesamtwirkungsgrad und damit auf den Energieverbrauch auswirkt.“
Eine weitere Möglichkeit die Energiewende voranzutreiben, findet sich in neuen Vertriebsprozessen im Energiehandel. Die Direktvermarktung beispielsweise, bei der elektrische Energie nicht über den Übertragungsnetzbetreiber, sondern direkt über den Betreiber von Erneuerbaren-Anlagen bezogen wird, erleichtert es Unternehmen, grüne Energie zu beziehen (mehr dazu auf Seite 48). In diesem Zusammenhang ebenfalls erwähnenswert sind die sogenannten Strombroker im Intraday- und Day-Ahead-Handel. Diese vermitteln ihren Kunden in Sekundenschnelle über einen Algorithmus Strom für den jeweils günstigsten Preis am Markt. In Kombination mit einer smarten Demand Side Management- oder Lastmanagement-Lösung versetzt das produzierende Betriebe in Industrie und Gewerbe in die Lage, ihre Anlagen bei günstigen Preisen automatisiert hoch- bzw. bei hohen Preisen runterzufahren. Darüber hinaus kann das Unternehmen bei kurzfristigen Knappheiten und damit hohen Preisen nicht benötigte Stromkapazitäten abgeben. Ein Beispiel: Die Kundenaufträge lassen es zu, auch mit halber Geschwindigkeit zu produzieren. Dadurch ist es möglich, den bereits gebuchten Strom über den Broker zum aktuellen Marktpreis zu verkaufen und damit die eigenen Kosten stärker zu senken.
Ein dynamisches Lastmanagement ermöglicht es industriellen und gewerblichen Betrieben somit, Energiekosten zu reduzieren, die Effizienz zu steigern sowie Versorgungs- und Betriebssicherheit mit vergleichsweise geringem Aufwand zu erreichen. Dafür überwacht das Managementsystem alle relevanten Stromzähler, Maschinen und Geräte sowie Ladepunkte, Energieerzeugungs- und Speicheranlagen und steuert sie dynamisch entsprechend der aktuellen Situation oder auf Basis einer vorausschauenden Berechnung. „Welche Maschinen, Geräte, Anlagen oder Ladepunkte herunter- bzw. hochgefahren werden, kann individuell und detailliert eingestellt werden. Dadurch werden Lastspitzen vermieden, ohne dass Produktionsprozesse gestört werden und benötigte Maschinen oder E-Fahrzeuge nicht einsatzbereit sind“, berichtet Sebastian Franke, Projektmanager bei econ solutions, das mit dem econ peak ein System fürs dynamische Lastmanagement anbietet (mehr dazu auf Seiten 32-33).
Energieberater:innen für Unternehmen
Doch welche Maßnahmen sind nun die richtigen für den kleinen Bäckereibetrieb? Und sind das dieselben, wie für den Großkonzern? Orientierung im Informationsdschungel rund um mögliche Maßnahmen versprechen Energieberater:innen speziell für industrielle und gewerbliche Betriebe jeder Größenordnung. Sie dienen als Instrument, um Informationsdefizite abzubauen, Einsparpotenziale zu identifizieren und Maßnahmen zur Verbesserung der Energieeffizienz im Unternehmen aufzuzeigen. „Einsparpotenziale von bis zu 30 Prozent sind dabei keine Seltenheit“, so der Bundesverband Gebäudeenergieberater Ingenieure Handwerker e.V. (GIH), der außerdem die Bedeutung einer Energieberatung in der aktuellen Zeit heraushebt: „Je höher die Energiepreise steigen, desto notwendiger wird es für Unternehmer, durch Investitionen in die Energieeffizienz den Kostendruck zu mindern und gleichzeitig die eigene Wettbewerbsfähigkeit zu stärken.“