20.06.2023 – Die bundesweit sehr emotional geführte Debatte um das von der Regierungskoalition verabschiedete Energieeffizienzgesetz fixiert sich zu sehr auf private Immobilien – sagt zumindest Andreas Blassy, Head of Digital & Energy Advisory Services bei Caverion Deutschland. Dies ist aus mehreren Gründen nicht zielführend. Denn: Ein Drittel aller Gebäude in Deutschland wird von der Industrie genutzt – und zum großen Teil immer noch mit Gas oder Öl betrieben. Wer also eine grüne Wirtschaft will, muss in diesem Segment ansetzen. Wie kann der nachhaltige Wandel aber auch im Bereich der Industrie- und Gewerbeimmobilien gelingen?
„Leider sorgt schon die Reduktion auf den Begriff ,Heizungsgesetz‘ für eine Polarisierung und Verzerrung der deutschen Umsetzung der EU-Energieeffizienzrichtlinie 2012/27/EU”, berichtet Andreas Blassy, Head of Digital & Energy Advisory Services bei Caverion Deutschland. Caverion hat sich auf die technische Gebäudeausrüstung in allen Gewerken spezialisiert. Dafür plant und errichtet das Unternehmen aus München gebäudetechnische Anlagen, übernimmt Service und Wartung und deckt dabei den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes ab. Insgesamt würden hier, so Gebäudeexperte Andreas Blassy, zwei große Gesetzesvorhaben (GEG und EEffG) willkürlich vermischt. Einerseits habe das am 19. April 2023 im Bundestag verabschiedete Energieeffizienzgesetz das Potential, einen wesentlichen Beitrag zum „Switch“ hin zu einer klimaneutralen Gebäudebranche bis 2045 beizutragen. Andererseits könne dieser ambitionierte Plan der Bundesregierung aber nur dann gelingen, wenn alle Energieverbraucher gleichermaßen betrachtet eingebunden werden. Andreas Blassy: „Immerhin fällt auf die Gebäude in der Bundesrepublik ein Drittel des sogenannten Endenergieverbrauchs – und von diesem Anteil wiederum ein Drittel auf Industrieimmobilien. Der Fokus im Bereich der Gewerbe- und Industrieimmobilien sollte daher auf zwei Säulen stufen, um einer nachhaltigen Branchenwende Auftrieb zu verleihen: Einerseits die Implementierung gebäudetechnischer Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz des gesamten Gebäudes. Andererseits und erst danach der Ausbau der regenerativen Energieträger. Denn nur in Kombination dieser Ansätze lassen sich echte Fortschritte erzielen. Nichtsdestotrotz liegt der Teufel bei der Umsetzung im Detail.“
Erneuerbare Energien verpuffen ohne Gebäudeoptimierung
Erfolgsentscheidend für die Verbrauchsreduzierung im Bereich der Industrie- und Gewerbeimmobilien sind laut Andreas Blassy sowohl die Reihenfolge der Schritte als auch die Identifizierung der am einfachsten und am schnellsten umsetzbaren Maßnahmen. Dabei gilt der Grundsatz: Es gibt nicht den einen, großen Hebel, der den Effizienzwert von Rot auf Grün umlegt. Vielmehr sind es die zahlreichen kleinen Schritte, die keine Nische auslassen und sich gegenseitig ergänzen. Dazu gehört vor allem die Anpassung der Regelungstechnik, Hydraulik verbessernde Maßnahmen sowie die Installation von Messtechnik und im Anschluss idealerweise die Implementierung von Gebäudeleittechnik und ein digitales Energiemonitoring.
„Logischerweise werden erst alle Optimierungspotentiale zwischen Keller und Dach, Eingang und Hintertür, einschließlich aller Strom- und Wärmefallen und der gesamten Gebäudetechnik sorgfältig analysiert und gehoben, bevor der idealerweise erheblich reduzierte Energiebedarf durch regenerative Energieträger gedeckt wird”, führt der Gebäudeenergieexperte aus. Andernfalls verhindere die Energieversorgung die notwendige grüne Wende und belaste stattdessen erheblich das Kosten-Nutzen-Verhältnis. Andreas Blassy: „Lohnt sich der Aufwand für jeden Betrieb und jede Branche? Grundsätzlich ja. Nach heutigem Kenntnisstand zahlt sich eine engagierte und zeitnahe energetische Umrüstung selbst bei komplexen Rahmenbedingungen aus. Und tatsächlich beeinträchtigt jede Verzögerung erheblich die Gesamtbilanz. Gehen wir also davon aus, dass der Wille zur Veränderung vorhanden ist – kommen wir schnell zur Frage, welche konkreten Schritte jetzt auf die Agenda kommen sollten.”
Wie fangen wir an, was kostet es uns?
Diese Fragen stehen am Anfang jedes Beratungsgespräches mit den involvierten Eigentümern und Unternehmen. Als ersten Schritt empfiehlt es sich, eine:n Projektverantwortliche:n innerhalb des Unternehmens auszuwählen. Ein gewisses Maß an Fachkenntnis ist gut, wichtiger und erfolgskritischer sind aber klare Aufgaben-Bekenntnis/Verständnis, Durchsetzungsfähigkeit und Ausdauer. Der zweite Schritt beinhaltet Recherche und Auswahl eines professionellen Energieberatungs-Unternehmens. Angesichts der Komplexität und Bandbreite der Energieeffizienz-Thematik sehen sich viele Verantwortliche ohne externe Unterstützung einem Berg von Herausforderungen gegenüber, die dann auch noch unterschiedlichste gegenseitige Abhängigkeiten aufweisen.
„Der Energieberater weiß hingegen sehr genau, wo und wie er anfangen muss und kann dann auch ziemlich exakt den Kosten- und Zeitaufwand abschätzen. Die weitere Vorgehensweise beugt dann einem typischen Fehler vor: mit der Erwartung eines kurzfristigen Returns on Investment zu starten und zu arbeiten. Ein zügiges und entschlossenes Engagement lohnt sich in diesem Bereich ausnahmslos, wenn man wirklich alle relevanten Stellschrauben kennt”, so Blassy.
Um so schnell und so einfach wie möglich in den grünen Bereich zu kommen, werden nach einem sorgfältigen und umfassenden Audit also alle Touch Points identifiziert und korrigiert, die sich umgehend auf die Energieeffizienz auswirken können. Am Ende der Liste stehen die Punkte, die am meisten Vorlauf benötigen, um Ergebnisse zu erzielen. Und erst jetzt ergibt auch die Beschäftigung mit erneuerbaren Energieträgern Sinn.
Integration der Belegschaft entscheidet bei Energieeffizienz mit
„Die grüne Wende zu einem nachhaltig betriebenen Industrie- oder Gewerbegebäude basiert zu einem großen Teil auf technischen Herausforderungen und passenden Lösungen. Allerdings darf ein wesentlicher Erfolgsfaktor nicht vergessen werden: Verständnis und Engagement der Mitarbeiter:innen. Werden diese nicht frühzeitig eingebunden und geschult, kann es durchaus passieren, dass der Energieverbrauch sogar weiter ansteigt”, mahnt Blassy. Allein durch die Wechsel auf Grünstrom wird eine Immobilie also noch lange nicht klimaschonend. Sollten bestimmte und unnötige Verbrauchsquellen nicht herunter geregelt werden, kann auch „grüner Strom“ zu höheren Gesamtverbräuchen führen. Erst wenn die Gebäudetechnik vollständig optimiert ist, kann Energieeffizienz in Kombination mit richtig geschulten Mitarbeiter:innen gelingen und Einspar-Potentiale vollständig erschlossen werden.
Ausblick: Förderungen, Bürokratie und Fachkräfte
Wenn im Zuge der öffentlichen Debatte gefordert und geplant wird, die Kosten des Energieeffizienzgesetzes für Privatpersonen mit unterschiedlichen Nachbesserungen abzufedern, darf die Wirtschaft – und speziell die energieintensive Industrie nicht sich selbst überlassen werden. Andreas Blassy: „Staatliche Förderungen sollten unkompliziert beantragt, schnell bewilligt sowie flexibel eingesetzt werden dürfen. Sind diese Rahmenbedingungen gesetzt, bürokratische Hürden überwunden und ausreichend Fachkräfte am Platz, steht der regenerativen Branchenwende nichts mehr im Weg.”