06.06.2023 – Im schwedischen Boden wird derzeit ein Stahlwerk gebaut, das für die Produktion anstatt Kokskohle Wasserstoff und Ökostrom nutzt. Die CO2-Emissionen sollen so um bis zu 95 Prozent gesenkt werden.
Ausgeprägte Hügellandschaften, zahlreiche Seen und Feuchtgebiete und grüne Wiesen so weit das Auge reicht: die schwedische Gemeinde Boden in der Provinz Norrbotten im Nordosten des Landes hätte problemlos als Motiv für die berühmten Landschaftsmalereien von Caspar David Friedrich, Claude Monet oder Vincent van Gogh herhalten können. Nun jedoch wird die malerische Landschaft durch ein großes Bauwerk unterbrochen: auf etwa 300 Hektar entsteht hier nämlich derzeit im Rahmen des Projekts H2 Green Steel das weltweit erste Stahlwerk auf Basis von Wasserstoff und Strom aus Erneuerbaren Energien. Ab 2025 soll die Anlage voraussichtlich grünen Stahl produzieren und liefern können, das Produktionsvolumen von anfänglich 2,5 Millionen Tonnen grünem Stahl pro Jahr soll zudem bis 2026 ausgebaut werden. Die Leitung des Leuchtturmprojekts hat der ehemalige Scania-Chef Henrik Henriksson übernommen. Gründer und größter Anteilseigner ist Vargas, der zudem Mitbegründer und einer der größten Anteilseigner des schwedischen Batterieherstellers Northvolt ist.
„Unser Ziel bei H2 Green Steel ist nichts Geringeres als die industrielle Revolution in der Stahlindustrie anzuführen“, gibt Maria Persson Gulda, CTO von H2 Green Steel, die ambitionierte Marschroute vor. „Wir setzen dafür auf vorhandene Technologien, modifizieren sie und machen sie innovativ nutzbar, um schon heute grünen Stahl Wirklichkeit werden zu lassen – nicht erst in ferner Zukunft.“ Dabei spielt auch ein Akteur aus Deutschland eine entscheidende Rolle. So wurde die SMS group aus Düsseldorf mit der Lieferung der kompletten Technologie und Ausrüstung für H2 Green Steel beauftragt.
CO2-Reduktion um bis zu 95 Prozent
In diesem Zusammenhang wird die SMS group zusammen mit dem Anlagenbauer Paul Wurth, einer Tochter der Unternehmensgruppe, und deren Konsortialführer Midrex die gesamte Prozessausrüstung von der Roheisenerzeugung bis hin zu den fertigen Produkten des Stahlwerks liefern. „Gemeinsam haben wir die Anlage so geplant, dass wir eine bedeutende CO2-Reduktion über die gesamte Prozesskette erreichen und uns damit von unseren Marktbegleitern differenzieren“, führt Maria Persson Gulda aus. Für die SMS group habe sich H2 Green Steel entschieden, weil die Düsseldorfer mit ihrer Expertise überzeugen und „das auch in zahlreichen Projekten weltweit unter Beweis stellen konnten“.
Im Rahmen der Auftragsvergabe, die sich auf über eine Milliarde Euro belaufen soll, wird die SMS group eine Mirdrex-Direktreduktionsanlage, ein Elektrostahlwerk, eine CSP Nexus-Gieß-Walzanlage sowie einen fortschrittlichen Kaltwalz- und Bandanlagen-Komplex für die Produktion eines breiten Produktmixes – einschließlich hochfester Stahlgüten (AHSS) – liefern. Damit soll eine CO2-Einsparung von bis zu 95 Prozent ermöglicht werden: während bei der klassischen Hochofenroute bei der Herstellung von einer Tonne Stahl etwa zwei Tonnen CO2 entstehen, setzt H2 Green Steel bei dem neuen Verfahren Wasserstoff und Ökostrom anstelle von Kokskohle ein. Der Wasserstoff dient dabei als Reduktionsgas. Anders als bei der Nutzung von Kokskohle entsteht damit in der Stahlproduktion kein CO2, sondern Wasser.
Welchen Stellenwert das Projekt beispielsweise für die Automobilindustrie, für die ebenfalls spezielle Stahlgüten in H2 Green Steel hergestellt werden können, hat, zeigt sich mit Blick auf die bereits heute bestehenden Liefervereinbarung für den grünen Bandstahl aus Schweden: So wollen beispielsweise die Autobauer Mercedes Benz, Volvo und Scania den klimaneutralen Stahl für ihre Produkte nutzen.
Die BMW Group geht sogar noch einen Schritt weiter und hat mit H2 Green Steel einen geschlossenen Materialkreislauf vereinbart. Die Schweden nehmen in diesem Zusammenhang Blechreste, wie sie in den Presswerken zum Beispiel beim Ausstanzen von Türen entstehen, wieder zurück und bereiten sie so auf, dass sie als neue Stahlrollen, sogenannte Stahlcoils, wieder an die Werke geliefert werden können. Durch den deutlich geringeren Energieaufwand reduzieren sich die CO2-Emissionen bei dieser Art von Sekundärstahl darüber hinaus durchschnittlich um 50 bis 80 Prozent gegenüber Primärmaterial.