12.09.2024 – Die aktuellen Gegebenheiten bieten für Mieterstrom ideale Voraussetzungen, um die Chancen der dezentralen Energievermarktung zu nutzen. Funktioniert die Software für die Abbildung der komplexen Prozesse, können Gebäude als Stromerzeuger sogar Erlöse produzieren.
Mieterstrom ist (noch) kein Kassenschlager. Laut Marktstammdatenregister lag die Anzahl der für Mieterstrom gemeldeten Anlagen im Mai 2024 bundesweit bei mindestens 9.000. Hier besteht noch ordentlich Luft nach oben, wie auch Christopher Breddermann und Ralph Henger im IW-Kurzbericht „Großes ungenutztes Potenzial von Mieterstrom“ von Anfang Juli 2024 berechneten. Von den insgesamt 19 Millionen Mieterhaushalten in Mehrfamilienhäusern könnten bis zu 14,3 Millionen in 1,9 Millionen Gebäuden von Mieterstrom profitieren – insgesamt ein Zubaupotenzial für die Stromerzeugung von 43 TWh. Grund für die Potenzialsteigerung sind unter anderem neue digitale Lösungen und vereinfachte regulatorische Rahmenbedingungen, wie auch die Vergleichstabelle rechts zwischen „altem“ Mieterstrommodell, quasi Version 1.0, und neuem Modell Version 2.0 verdeutlicht.
Wie ist das mit der Wirtschaftlichkeit?
virtuelle Summenzähler Die Nutzung von PV-Strom innerhalb von Mieterstromprojekten erfordert eine genaue Erfassung von Erzeugung, Verbrauch und Einspeisung. Klassischerweise erfolgt die Messung über physische Summenzähler und Erzeugungszähler. Die Errichtung der Messplätze führt zu erheblichen Mehrkosten. Neu gesetzlich erlaubt sind virtuelle Summenzähler, die die gleiche Funktion wie physische Summenzähler übernehmen.Die Mieterstrom-Vollversorgung mit virtuellem Summenzähler ist seit Mai 2023 mit dem GNDEW (Gesetz zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende) im EnWG §20 1.(d) verankert. Dies gilt als Meilenstein für das Mieterstrommodell, da der physische Aufbau einer zusätzlichen Messinfrastruktur weitestgehend entfallen kann.
Stattdessen wird ein sogenanntes Lokationsbündel aufgebaut, bei dem mehrere Zähler über eine Berechnungsformel zu einem virtuellen Zähler gebündelt werden, der eine eigene Marktlokation darstellt. Dabei müssen lediglich Messwerte im Viertelstundentakt vorliegen, wie es etwa bei intelligenten Messsystemen (iMSys) oder RLM-Zählern der Fall ist.
Es hat sich also einiges auf dem Gebiet getan. Wie wird Mieterstrom nun aber wirtschaftlich? Wichtig ist bereits die Auswahl des richtigen Projektpartners. Der Mieterstrom-Spezialist Solarize beispielsweise unterstützt den kompletten Prozess von Beginn an: von der Projektierung, der Ausarbeitung des Messkonzepts bis hin zu Abrechnung und Monitoring. „Die Solarize-eigene Softwarelösung ist dabei das Herzstück. In ihr laufen alle Prozesse der Abrechnung zusammen. Sie überwacht die Leistung der Anlage, misst die verschiedenen Stromflüsse, verteilt die Strommengen und rechnet diese ver-brauchs- und mietergenau ab“, beschreibt Lukas Böhm, Leiter Projektmanagement Solarize Energy Solutions GmbH.
Mieterstrom in der Praxis
Wie das konkret aussehen kann, zeigt das gemeinsame Projekt „meinraum“ von empact und Solarize. Das Unternehmen aus Köln ist Contractor mit Ingenieursbüro, das Gebäude als vernetzte, dezent-rale Kraftwerke sieht, die sich selbst mit erneuerbaren Energien versorgen und mit regelbaren Lasten wie zum Beispiel Ladesäulen obendrein zur Flexibilisierung des gesamten Energiesystems beitragen. Im Zentrum der dezentralen Energielösungen stehen Eigenstromversorgungsmodelle mit Photovoltaik, regenerative Wärme-und Kältelieferkonzepte, die Bereitstellung von gebäudenaher Ladeinfrastruktur sowie cleveres Energiemanagement. Der Vorteil: Sämtliche Kernkomponenten wie Photovoltaik, Wärmepumpen und gebäudenahe Ladeinfrastruktur von Anfang an zusammenzudenken, ermöglicht es, die Anlagentechnik optimal auszulegen und für einen hocheffizienten Betrieb aufeinander abzustimmen. Beim von Bauwens entwickelten Projekt „meinraum“ in München beispielsweise werden künftig bis zu 122 Wohneinheiten mit nachhaltigem und lokal produziertem Strom vom eigenen Dach versorgt. Auf sechs Dächern werden insgesamt 424 PV-Module mit einer Gesamtleistung von 186 kWp jährlich rund 196.000 kWh CO2-armen Strom erzeugen. In Solarize werden alle Messwerte aufbereitet und automatisierte Abrechnungen für die Mieterinnen und Mieter erstellt. Somit hat empact alle Zählerwerte und Bilanzen effizient im Blick und nutzt die Daten für notwendige Berichtspflichten.
Gründe für Mieterstrom
Ein wichtiger Aspekt für die lokale Vermarktung von PV-Strom sind die verbesserten politischen Rahmenbedingungen. So hat zum Beispiel die Gleichstellung von virtuellen mit physischen Summenzählern die Weichen für einen profitablen Betrieb von PV-Anlagen neu gestellt. „Begünstigt wird diese Entwicklung zusätzlich von positiven Begleitbedingungen des Markts, wie ausreichend Kapazitäten in PV-Installationsbetrieben sowie günstig verfügbaren Materialien. Auch beim Thema Finanzierung sieht es gut aus: Der Höhepunkt in der Zinsentwicklung ist (vorerst) überschritten, die Zinsen sinken wieder“, gibt Böhm an. Der Direktverbrauch von lokal vor Ort erzeugtem Strom ist auch deshalb attraktiver, weil Netzentgelte (je nach Netzgebiet sind das mindestens zwölf Cent pro Kilowattstunde), Umlagen und Steuern wegfallen. Die lokale Vermarktung von PV-Strom ist daher rentabler, als den Strom erst einzuspeisen und dann die lokal benötigte Energie teuer zurückzukaufen. „Allein dieser Umstand ist ein signifikanter Hebel für die
Wirtschaftlichkeit von dezentralen Energieerzeugungsanlagen“, so Manuel Thielmann, Chief Operation Officer bei empact. Im Gewerbe zum Beispiel sei der lokale Verbrauch fast immer rentabler als die Kombination von Volleinspeisung und Rückkauf nach Bedarf. Denn gewerbliche Mieter verbrauchen in der Regel tagsüber den meisten Strom. „Aber auch in der Wohnungswirtschaft lässt sich Mieterstrom profitabel umsetzen“, sagt Thielmann. (sg)