30.01.2025 – In der Nähe der bulgarischen Stadt Plowdiw soll das erste kohlenstoffneutrale Industrie- und Gewerbegebiet Europas entstehen. Wie dieses Vorhaben der bereits 200 dort angesiedelten Unternehmen realisierbar ist, erforscht eine von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) geförderte Machbarkeitsstudie.

Vorne sitzend (v. l:): TEZ-Geschäftsführer Plamen Panchev, DBU-Abteilungsleiterin Dr. Cornelia Soetbeer und Projektleiter Dr. Georgi Georgiev. Stehend: Bulgariens Vize-Premierminister Tomislav Peykov Donchev (3. v. l.) und die deutsche Botschafterin in Bulgarien Irene Maria Plank (2. v. r.). Quelle: Jörg Lefèvre/DBU
Die Delegation der Deutschen Bundesstiftung Umwelt (DBU) hat gestern den Förderbescheid für den Entwicklungsplan des Projektes übergeben. Mit bei der Übergabe dabei waren unter anderem Bulgariens Vize-Premierminister Tomislav Peykov Donchev und die deutsche Botschafterin Irene Maria Plank. Die Beratungsfirma Dr. Georgiev Consulting aus dem bayrischen Holzkirchen erstellt mit der bulgarischen nicht-staatlichen Organisation Trakia Economic Zone (TEZ) den Entwicklungsplan. Die DBU fördert dieses Vorhaben nach eigenen Angaben mit etwa 144.000 Euro.
Der Anteil des erzeugten Nettostroms aus fossilen Energieträgern ist in Bulgarien weiterhin hoch. Nach Angaben von ENTSO-E lag der Anteil von Braunkohle 2024 bei circa 32 Prozent (2022: 46,5 Prozent). Die Stromerzeugung aus Kernkraft (knapp 42 Prozent) machte im vergangenen Jahr den größten Anteil aus. Erneuerbare Energien trugen im vergangenen Jahr zu 25 Prozent an der bulgarischen Nettostromerzeugung bei. „Das Vorhaben der multinationalen Unternehmerschaft, den Standort kohlenstoffneutral zu machen, ist ehrgeizig“, sagt DBU-Abteilungsleiterin Dr. Cornelia Soetbeer
Plan: Bis 2040 Eigenständigkeit auf Basis erneuerbarer Energien
Das laut TEZ geplante erste kohlenstoffneutrale europäische Industriecluster umfasst 200 Unternehmen, die sich im Umkreis von 40 Kilometern um die 350.000-Einwohner-Stadt Plowdiw angesiedelt haben. Darunter sind Niederlassungen deutscher Firmen wie Liebherr, Osram und DB Schenker. Hinzu kommen Betriebe aus Frankreich, Südkorea und den USA, aber auch zahlreiche lokale mittelständische Unternehmen. „Dieser Firmenzusammenschluss will bis 2040 auf Basis von erneuerbaren Energien eigenständig werden“, sagt DBU-Experte Dr. Jörg Lefèvre.
Neben Strom aus Sonne und Wind ist mit staatlicher und kommerzieller Unterstützung der Aufbau eines Wasserstoffnetzes vorgesehen – ebenfalls auf Grundlage erneuerbarer Energien. Das mittelfristige Ziel der Kohlenstoffneutralität umfasst nach Angaben von Lefèvre die Bereiche Produktion, Verkehr und Energieversorgung. „Industrie und Gewerbe in der Region Plowdiw wollen unabhängig von fossilen Energielieferanten wie Russland werden.“
Machbarkeitsstudie untersucht 300-Hektar-Industriegebiet
Die insgesamt knapp 1.050-Hektar große Fläche verteilt sich auf sechs Industrie- und Gewerbeparks. Für die Machbarkeitsstudie wird ein neues Gebiet in Kalekovetz erschlossen, genannt Carbon Neutral Industrial Park (CNIP), ein kohlenstoffneutraler Industriepark. CNIP liegt 17 Kilometer entfernt vom Stadtzentrum Plowdiws und umfasst 300 Hektar. Eine binnen zwei Jahren entwickelte Strategie soll Lefèvre zufolge als Blaupause für die anderen Industrie- und Gewerbeparke rund um Plowdiw dienen. Dort haben sich bereits 200 Unternehmen aus Automobil-, Chemie-, Textil-, Logistik-, Lebensmittel- und Energieanlagen-Branchen angesiedelt. Die Behörden seien wegen der EU-rechtlichen Vorschriften bei der Genehmigung mit im Boot. „Durch die EU-Gesetzgebung ist das Modell sogar ein europaweites Modell für Industriegebiete“, sagt Lefèvre.
Zur Finanzierung der Investitionen werden grüne Anleihen unter Beteiligung von Privatinvestoren in Betracht gezogen. Soetbeer: „Dabei sollen sich Zivilgesellschaft, Mitarbeitende der Werke und öffentliche Akteure finanziell an Anleihen beteiligen, die international vereinbarte Nachhaltigkeitsstandards einhalten.“
Bürgerenergie ist Schwerpunkt bei internationaler Projektförderung der DBU
Die Folgen für die Energieversorgung durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine sei laut DBU gerade in mittel- und osteuropäischen Ländern von zunehmender Bedeutung. „Eine dezentrale Energieversorgung mit Photovoltaik, Bioenergie und Windkraftanlagen eröffnet Möglichkeiten für bürgerschaftliches Engagement, für Zusammenschlüsse im Energiesektor und für eine aktivere Rolle einzelner Bürgerinnen und Bürger“, sagt Soetbeer.
Bürgerenergie spiele für die Transformation zu einer treibhausgasneutralen Energieversorgung bis 2050 eine wichtige Rolle. Die DBU hat unter diesem Förder-Schwerpunkt bisher 17 Projekte mit insgesamt mehr als 2,23 Millionen Euro bewilligt, weitere Projekt-Anträge befinden sich in der Prüfung. Seit Aufnahme ihrer Tätigkeit habe die DBU in Mittel-, Ost- und Südosteuropa 562 Projekte mit insgesamt knapp 67 Millionen Euro unterstützt. (cst)