25.09.2023 – Auf dem Weg zur Klimaneutralität sind neue Ansätze gesucht, um ganze Stadtviertel ohne Kohle und Gas mit Fernwärme zu versorgen.

Die beiden Wärmepumpen nehmen auf dem Campus Bochum des Fraunhofer IEG etwa den Platz einer größeren Garage ein und liefern bis zu 500 kW Wärme. Foto: A. Passamonti/Fraunhofer IEG
Das Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik (IEG) testet vor diesem Hintergrund derzeit einen weltweit einzigartigen Prototypen in Bochum, der auf eine Kombination von Solarthermie, Wärmepumpen und Grubenwasser als Wärmespeicher setzt. Die leistungsstarke Wärmepumpe, die Temperaturen bis zu 120 Grad Celsius bewältigen kann, wurde erfolgreich in das System integriert und soll zeigen, wie das lokale Wärmenetz davon profitieren kann.
Rolf Bracke, Leiter des Fraunhofer IEG, betont die Effizienz von Fernwärmenetzen als Mittel zur Versorgung vieler Haushalte und hebt hervor, dass innovative Ideen und die Abschaltung fossiler Wärmequellen dazu beitragen können, Fernwärme zur nachhaltigsten Option zu machen. Das Projekt demonstriere außerdem, wie bestehende fossile Infrastrukturen wie ehemalige Bergwerke und Fernwärmenetze, eine nachhaltige Rolle in der Wärmewende spielen können.
Der innovative Ansatz des Fraunhofer IEG vereint dafür die Vorteile von Solarthermie, Grubenwärmespeichern und Wärmepumpen in einer Pilotanlage zur saisonalen Hochtemperatur-Wärmespeicherung. Während des Sommers erwärmt Solarthermie das Wasser in einem stillgelegten Bergwerk in Bochum auf geplante 60 Grad Celsius. Während der Heizperiode dient das Grubenwasser als Wärmequelle für die Hochtemperaturwärmepumpe, die nun in Betrieb genommen wurde. Mit relativ geringem Aufwand kann diese Wärme mit Temperaturen von bis zu 120 Grad Celsius in das lokale Fernwärmenetz einspeisen, das die Haushalte im südlichen Bochum versorgt. Das Fernwärmenetz ist auch an den Campus der Ruhr-Universität Bochum mit 5.600 Arbeitsplätzen sowie 4.800 Mietwohnungen, 760 Häusern und 115 weiteren Kunden im umliegenden Stadtteil Querenburg angeschlossen.

Die Aggregate der Wärmepumpen nutzen Ammoniak und Butan als Arbeitsmedien und erzeugen Endtemperaturen bis zu 120 Grad Celsius. Foto: K. Schinarakis/Fraunhofer IEG
„Wir haben die komplexe Pilotanlage schrittweise entwickelt und nun im Sommer alle Teile erfolgreich zusammengefügt“, berichtet Arianna Passamonti, die leitende Projekt-Ingenieurin. „Wir sind schon sehr gespannt, die Anlage im realen Betrieb der ersten Heizperiode zu sehen, und den Beweis anzutreten, dass Wärmepumpen die hohe Temperatur des Fernwärmenetzes zuverlässig erreicht.“
Die Solarthermieanlage verfügt über eine maximale Leistung von 60 kW und nutzt Wasser als Arbeitsmedium. Im Vollbetrieb soll sie 165 MWh Energie pro Jahr ins Grubenwasser einspeisen. Zukünftig könnten auch andere Wärmequellen in das System integriert werden. Das Steinkohlebergwerk war zwischen 1953 und 1958 in Betrieb. Es wurden rund 37 Tausend Tonnen Kohle gefördert. Der verbliebene Hohlraum ist heutzutage mit rund 20 Tausend Kubikmeter Grubenwasser zwischen 23 und 64 Metern Tiefe gefüllt. Die Entnahmebohrung des Fraunhofer IEG erschließt das Bergwerk bis in eine Tiefe von 64 Metern. Computersimulationen haben ergeben, dass die gefluteten Bereiche sich gut als Wärmespeicher für Temperaturen von etwa 60 Grad Celsius eignen. Das Fernwärmenetz im südlichen Bochum hat eine Leistung von etwa 115 MW und liefert je nach Jahreszeit Temperaturen zwischen 80 und 120 Grad Celsius an die Kunden, während rund 60 Grad Celsius warmes Wasser an das lokale Heizkraftwerk zurückgeführt wird.
Das Team unter der Leitung von Arianna Passamonti hat die Wärmepumpe an diese Bedingungen angepasst und berücksichtigt die Möglichkeit der Integration lokaler Abwärmequellen in die Zukunft. Der Markt für derartige Anlagen ist derzeit noch nicht ausgereift, insbesondere aufgrund der hohen Temperaturen bis 120 Grad Celsius und der hohen Leistungsklasse bis 500 kW. Um diese Leistungsfähigkeit zu erreichen, wurden neue Berechnungsmodelle für Arbeitsmedien und Komponenten unter verschiedenen Betriebsbedingungen entwickelt. Das Ergebnis ist eine zweistufige Wärmepumpe, die Ammoniak im Niedertemperaturbereich und Butan im Hochtemperaturbereich als Arbeitsmedien einsetzt. Die erfolgreiche Installation zeigt, dass stillgelegte Bergwerke sinnvoll als Wärmespeicher in bestehende Fernwärmenetze integriert werden können und dient auch der Weiterentwicklung von Betriebsmodellen für Großwärmepumpen. Zukünftige Projekte werden weitere Bergwerke in der Region als Wärmespeicher und die Nutzung von Abwärme als Wärmequelle erkunden.

Mit Besuchern besichtigt Arianna Passamonti die Gesamtanlage samt Solarthermieanlage, die ihre im Sommer gesammelte Wärme in 64 Meter Tiefe in Grubenwasser speichert. Foto: K. Schinarakis/Fraunhofer IEG
Die Pilotanlage wurde im Rahmen zweier EU-Projekte von 2018 bis 2023 realisiert: Im Rahmen von „Geothermica HEATSTORE“ wurde die stillgelegte Zeche, die seit 65 Jahren nicht mehr in Betrieb war, mit drei Bohrungen erschlossen und die Solarthermieanlage integriert. Im Rahmen von „NWE-Interreg DGE-Rollout“ wurde die Wärmepumpe sowie die Komponenten für die Wärmeversorgung und -entnahme ins Fernwärmenetz im Detail geplant, projektiert, beschafft, installiert und in Betrieb genommen. Neben dem Team am Fraunhofer IEG waren auch Unternehmen wie Johnson Controls, Mitsubishi Power Europe, der Wärmenetzbetreiber Stadtwerke Bochum unique Wärme GmbH & Co. KG und die Ruhr-Universität Bochum an der Entwicklung und Umsetzung beteiligt. (jr)