06.06.2023 – Großwärmepumpen können das Potenzial von Fernwärme für Industrie und Gewerbe auch in der Breite nutzbar machen. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie im Auftrag von Agora Energiewende.
In Deutschland übersteigt das verfügbare Angebot an Umwelt- und Abwärme, das durch Wärmepumpen genutzt werden kann, den Bedarf an Wärme für Gebäude und industrielle Prozesswärme bis zu einer Temperatur von 200 °C bei weitem. Laut einer neuen Studie des Thinktanks Agora Energiewende beläuft sich die potenzielle Wärmeleistung, die Wärmepumpen aus CO₂-freien Quellen ohne die Nutzung von Umgebungsluft bereitstellen können, auf rund 1.500 Terawattstunden. Zu den Wärmequellen gehören oberflächennahe und tiefe Geothermie, See- und Flusswasser, industrielle Abwärme, Abwasser, Kohlengruben sowie Rechenzentren. Demgegenüber steht ein jährlicher Wärmebedarf für Temperaturen bis zu 200 °C von etwas über 1.000 Terawattstunden.
„Deutschland verfügt über mehr Umwelt- und Abwärmequellen, als wir benötigen, um den gesamten Wärmebedarf bis zu 200 °C zu decken“, sagt Simon Müller, Direktor Deutschland von Agora Energiewende. „Mit Großwärmepumpen können diese Wärmequellen großflächig für die Fernwärmeversorgung und in der Industrie genutzt werden.“ Großwärmepumpen können bereits heute die erforderlichen Temperaturen von in der Regel 90 °C bis 110 °C für Wärmenetze sowie die Prozesswärme bis zu 200 °C in der industriellen Fertigung liefern. Derzeit ist der Anteil von Großwärmepumpen an der deutschen Wärmeerzeugung mit einer installierten Leistung von 60 Megawatt jedoch noch sehr gering.
Gemäß den Langfristszenarien im Auftrag des Bundeswirtschaftsministeriums können Großwärmepumpen bis 2045 über 70 Prozent der Fernwärme in Deutschland bereitstellen und Erdgas weitgehend ersetzen. Dafür müssten jährlich durchschnittlich vier Gigawatt neue Großwärmepumpenleistung installiert werden. Die Agora-Studie nennt drei Voraussetzungen für einen schnellen Ausbau von Großwärmepumpen: einen klaren Ausbauplan auf der Grundlage einer verbindlichen kommunalen Wärmeplanung, die Beseitigung von Preisnachteilen im Vergleich zu fossilen Energieträgern sowie eine strategische Erweiterung des Angebots an Wärmepumpen durch die Standardisierung von Produktionsprozessen.
In skandinavischen Ländern sind Großwärmepumpen bereits weit verbreitet und versorgen Wohngebiete großflächig mit klimaneutraler Wärme, erklärt Müller. „In Deutschland sind Großwärmepumpen zwar noch eine Nischenlösung, aber die Nachfrage bei Herstellern nimmt stark zu“, fügt Müller hinzu. Neben Vorreitern wie Norwegen, wo Großwärmepumpen einen Anteil von etwa 13 Prozent an der Fernwärmeversorgung haben, und Schweden mit einem Anteil von über 8 Prozent liegen auch Finnland, Dänemark und Frankreich über dem europäischen Durchschnitt von 1,2 Prozent. „Bis 2045 sollen mehr als ein Viertel der Wohnungen in Deutschland mit grüner Fernwärme beheizt werden können. Dafür müssen wir in den Kommunen die Wärmewende vorausschauend planen und sicherstellen, dass der regulatorische Rahmen für die Fernwärme ein attraktives und kostengünstiges Angebot für Kunden bietet.“
Darüber hinaus müssen Großwärmepumpenprojekte für Fernwärmebetreiber attraktiver gestaltet werden als fossile Lösungen. Derzeit bestehen noch Nachteile für strombetriebene Großwärmepumpen im Vergleich zu fossilen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen. In einigen Fällen werden Großwärmepumpen gefördert, die auf fossiler Abwärme basieren, beispielsweise von gasbetriebenen Kraft-Wärme-Kopplungsanlagen, was neue fossile Abhängigkeiten schafft.
„Mit einer Reform des Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetzes und einer Erweiterung des Förderprogramms für Wärmenetze kann dieses Ungleichgewicht behoben und die Wärmewende beschleunigt werden“, sagt Müller. Dies ist dringend erforderlich, da die Wärmeerzeugung bis zu 200 °C für Gebäude und Industrie derzeit über drei Viertel des deutschen Erdgasverbrauchs ausmacht und für mehr als ein Viertel der deutschen Treibhausgasemissionen verantwortlich ist. „Es bleiben noch etwas mehr als 20 Jahre bis zur Klimaneutralität. Daher benötigen wir dringend Anreize für grüne Wärmelösungen anstelle einer Blockade des Ausbaus durch unkoordinierte Fördermechanismen“, so Müller.
Ein klares Zielbild ist entscheidend, um den Herstellern Planungssicherheit zu geben. Zudem kann sich das Angebot von Großwärmepumpen mit einer gesicherten Nachfrage weiterentwickeln: weg von individuellen Lösungen hin zu einer industriellen Standardproduktion. Dies ist auch von zentraler Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit der Branche. „Mit einer intelligenten Kombination von Instrumenten kann Deutschland sich als führender Produzent von Großwärmepumpen positionieren und die europäischen Produktionskapazitäten für klimafreundliche Technologien stärken.“
Die Studie „Rollout von Großwärmepumpen in Deutschland: Strategien für den Markthochlauf in Wärmenetzen und Industrie“ hat das Fraunhofer IEG im Auftrag von Agora Energiewende erstellt. Die 140-seitige Studie analysiert umfassend den aktuellen Marktstatus und Entwicklungspotenziale von Großwärmepumpen mit besonderem Fokus auf den Hochlauf von Wärmenetzen. Die Publikation steht zum kostenlosen Download unter www.agora-energiewende.de zur Verfügung.