06.12.2024 – Um die erneuerbare Energie aus Wind und Photovoltaik zu beherrschen, benötigt man einen konsequenten Ausbau der elektrischen Infrastruktur. Eine digitale, grüne Trafostation im All Electric Society Park von Phoenix Contact zeigt, wie wichtig die Digitalisierung der Trafostationen ist, mit der Messwerte in Echtzeit übertragen werden können und den aktuellen Zustand der Mittel- und Niederspannungsnetze zeigt.
Schritt für Schritt
Einen entscheidenden Meilenstein auf dem Weg zu einer lebenswerten Welt stellt die für Deutschland geplante Klimaneutralität bis 2045 dar. Dazu müssen die Treibhausgasemissionen über alle Sektoren hinweg reduziert werden. Eine Schlüsselrolle kommt dabei der Elektrifizierung bisher fossil betriebener Anwendungen und damit dem notwendigen Ausbau der erneuerbaren Energieerzeugung durch Wind und Photovoltaik sowie der elektrischen Infrastruktur zu.
Mit diesen Veränderungen steigen die Anforderungen an die Verteilnetze deutlich. Netzplaner müssen nun sowohl neue Verbraucher – wie Ladestationen oder Wärmepumpen – als auch neue regenerative Erzeuger einbeziehen. Ein solcher Umbau kann nicht von heute auf morgen erfolgen. „Während die vorhandene Infrastruktur so effektiv wie möglich genutzt werden sollte, sind bei deren Neubau innovative Ansätze erforderlich“, so Andreas Flandermeier, Project Manager im Vertical Market Management Energy, Phoenix Contact Electronics GmbH. Vor diesem Hintergrund hat das Unternehmen den All Electric Society Park entwickelt, in dem die benötigten Technologien und deren Zusammenspiel erlebbar werden. Im Zentrum des Parks steht eine digitale, grüne Trafostation von GRITEC (ehemals Betonbau). Sie verdeutlicht, was bereits mit den bestehenden Technologien möglich ist.
Dach- und Vertikalbegrünung
Die Station hat einen grünen Bewuchs. Die auffällige Begrünung besteht aus zwei separaten Bereichen. Die Dachbegrünung umfasst verschiedene genügsame niedrig-wachsende Pflanzen, die gut durch den gelegentlich auf das Flachdach fallenden Regen gedeihen. Sie wurde durch sofort einsetzbare sowie fertig kultivierte Systemkassetten umgesetzt, welche gleichzeitig die Funktion eines Wasserspeichers übernehmen.
Außerdem verfügt die Trafostation über eine nach Nordwesten ausgerichtete Vertikalbegrünung, die mit Pflanzenkassetten an der Außenwand angebracht worden ist. Die Gräser und Blütenpflanzen werden durch ein automatisches Bewässerungssystem mit Wasser und Nährstoffen versorgt. Das Wasser stammt aus der Regenwasserzisterne im Park. Neben den genannten Gräsern finden sich Bergenien, Campanula und Heuchera in den Wandkassetten. „Die Begrünung fungiert nicht nur als attraktiver Blickfang, sondern leistet ebenfalls einen wichtigen Beitrag zum Mikroklima“, so Flandermeier.
Nutzung von langlebigem Carbonbeton
Die eigentlichen Werte liegen, wie so oft, im Inneren der Station. Die auffällige Trafostation wurde aus Carbonbeton gefertigt. Statt der üblichen Stahlarmierung verstärken Matten aus in einer Kunststoffmatrix eingebetteten Carbonfasern den Beton. Beim klassischen Stahlbeton verleiht eine Bewehrung aus Stahl dem Beton die geforderte Zugfestigkeit. Zum Schutz des Stahls vor Rost und Umwelteinflüssen müssen die Wandstärken entsprechend dick ausgeführt werden, sodass eine ausreichende Betonüberdeckung gegeben ist. Da Carbon nicht rostet, konnten die Wandstärken der Trafostation von 14 Zentimeter auf acht Zentimeter reduziert und so mehr als 15 Tonnen Beton eingespart werden. Darüber hinaus hat Carbonbeton weitere Vorteile, zum Beispiel eine siebenmal höhere Zugfestigkeit und eine geringere Anfälligkeit im Hinblick auf Rissbildungen. Durch die Vermeidung von Rost- und Rissbildung erhöht sich ferner die Lebensdauer des Gebäudes. „Die Neuartigkeit des Werkstoffs bedingt methodische Veränderungen im Planungs- und Produktionsprozess, denn Carbonbeton ist aktuell noch nicht genormt“, so Flandermeier. Deshalb besteht derzeit die Notwendigkeit einer sogenannten Zulassung im Einzelfall (ZiE).
Nutzung von Luft als Isoliermedium
Die Mittelspannungsschaltanlage setzt sich aus vier Abschnitten zusammen, den sogenannten Schaltfeldern. Sie verbinden die Station mit dem 30kV-Unternehmensnetzwerk und den beiden Transformatoren. Als Isoliermedium der Mittelspannungsschaltanlage wurde bewusst auf Luft statt der sonst üblichen Gasisolation gesetzt. Eine Anlage, die das klimaschädliche Isoliergas SF6 nutzt, wäre deutlich kompakter. SF6 ist jedoch 23.000-mal klimaschädlicher als CO2. Die zwei installierten Transformatoren dienen der Versorgung des All Electric Society Parks sowie der Anbindung eines 1,1MWh-Batteriespeichers. Gekühlt werden die Transformatoren durch einen synthetischen Ester. Diese biologisch abbaubare Isolationsflüssigkeit ersetzt das sonst gebräuchliche Mineralöl und trägt so zur Nachhaltigkeit der Trafostation bei. Die Niederspannungsschaltanlage, die ebenso im Schaltraum untergebracht ist, übernimmt den Schutz der einzelnen Verbraucher und Erzeuger im All Electric Society Park. Jeder Abgang beziehungsweise jedes Kabel wurde mit einer eigenen Energiemessung ausgestattet. Im Fernwirkschrank, der neben der Eingangstür zum Schaltraum platziert ist, befindet sich die Energieversorgung für die 24 V DC der Station. Der Schrank umfasst eine unterbrechungsfreie Stromversorgung (USV) sowie die Netzwerktechnik und die Remote Terminal Unit (RTU). Die Station ist via Lichtwellenleiter mit der Leitzentrale im Pavillon verbunden.
Der Fernwirkschrank fungiert als Herzstück der digitalen Trafostation, denn hier laufen alle Signale aus den verschiedenen Anlagenteilen zusammen. Dabei handelt es sich beispielsweise um Messwerte und Statusmeldungen der Schutzgeräte in der Mittelspannungsschaltanlage, Temperaturmesswerte der Transformatoren sowie Energiemesswerte aus der Niederspannungsschaltanlage. Zudem werden Statusmeldungen der Station erfasst, zum Beispiel das Betreten der Anlage. Über eine zentrale Datenbank stehen die gesammelten Daten einer Visualisierung sowie der sektorübergreifenden Regelung des Parks zur Verfügung.
Erstellung von Lastprofilen per Fernwirktechnik
„Auch wenn der Zusammenhang nicht sofort ersichtlich ist, unterstützt die Digitalisierung der Verteilnetze die Energiewende entscheidend“, sagt Matthias Westenthanner von der GRITEC GmbH. Die Messwertübertragungen in Echtzeit ermöglichen die digitale Aufnahme des Zustands der Mittel- und Niederspannungsnetze. „Die gewonnenen Daten lassen sich für die langfristige Netzplanung und Instandhaltung ebenso verwenden wie für den täglichen Betrieb“, so der Leiter Innovation, Forschung und Entwicklung.
Die Modernisierung und Erweiterung der Verteilnetze sind in vollem Gange. Die knappen Ressourcen und herausfordernden Zeitpläne erfordern eine intelligente Planung. „Wo in der Vergangenheit die Maximalstrommessung per Schleppzeiger über die maximale Last in einem Jahr Auskunft gegeben hat, können nun per Fernwirktechnik aussagekräftige Lastprofile erstellt werden“, sagt Flandermeier. Diese bilden die Grundlage für einen gezielten Netzausbau an den Stellen, an denen er wirklich benötigt wird. Auf diese Weise lassen sich nicht nur Kosten sparen, sondern ebenfalls natürliche Ressourcen schonen.
Der Ausfall einer Trafostation ist für einen Haushalt oder ein Industrieunternehmen direkt spürbar. Die durchschnittliche Nichtverfügbarkeit von Elektrizität erweist sich in Deutschland mit 12,2 Minuten je Letztverbraucher (2022) als gering. „Trotzdem müssen Anstrengungen unternommen werden, um diesen Wert auch beim angestrebten Aus- und Umbau der Netze auf einem ähnlichen Niveau zu halten“, sagt Flandermeier. Durch die Digitalisierung werde die notwendige Transparenz und Übersicht sämtlicher Stationen im Verteilnetz geschaffen. Störungen können aus der Ferne schnell lokalisiert und zum Teil behoben werden. Eine Fernschaltung erlaubt die Isolation fehlerhafter Netzabschnitte sowie den weiteren Betrieb der störungsfreien Netzteile. Dies reduziert die Unterbrechungszeit und erhöht die Versorgungsqualität für die Letztverbraucher. „Die im All Electric Society Park implementierte Technik zeigt sich somit als anschauliche Demonstration hinsichtlich der Digitalisierung der Verteilnetze“, fasst Andreas Flandermeier zusammen. (sg)
Eine globale Gesellschaft mit regenerativ erzeugter bezahlbarer Energie und einer neutralen CO2-Bilanz, das ist die All Electric Society. Sie begegnet dem Klimawandel und wird gleichzeitig dem Streben der Weltbevölkerung nach Wohlstand und Entwicklung gerecht. Um sie zu verwirklichen, muss der komplette Energiefluss optimiert werden – beginnend bei der Erzeugung über die Wandlung, Speicherung und Verteilung bis zur Nutzung. So lässt sich Energie jederzeit bedarfsgerecht einsetzen. Ebenso muss der globale Energiebedarf durch Effizienzmaßnahmen gesenkt werden. (sg)