15.05.2024 – Die Integration leistungselektronischer Bauteile aus den Bereichen PV und Elektromobilität kann starke Auswirkungen auf die EMV haben, vor allem im Bereich der Supraharmonischen.
Oberschwingungen, Flicker oder Netzfrequenz: Die Qualität des Netzstroms ist für Industrie- und Gewerbebetriebe in den letzten Jahren zu einer Herausforderung geworden. Zwar ist inzwischen sehr leistungsfähige Technologie zur Bereinigung und Verbesserung der Situation (Power Quality, PQ) verfügbar, doch oft wird dem Thema die nötige Aufmerksamkeit verwehrt. Mit der Integration von Photovoltaik, von Ladeinfrastruktur oder gar Windenergie in das eigene Netz der Energieverteilung kann die Herausforderung wachsen. Denn die neue Infrastruktur kann auch Ursache für neuartige Störungen sein.
Denn diese Anlagen erzeugen nicht nur Strom, sie können ihn auch „verunreinigen“. Besonders das Laden von Stromern kann einen störenden Typus an Verschmutzung hervorbringen: Oberschwingungen im Bereich über 2,5 Kilohertz, also jener Grenze, oberhalb der bisher kaum Probleme auftauchten. „Viele Unternehmen müssen ihre Power Quality Konzepte völlig neu konzipieren“, sagt Till Sehmer von dem Beratungsunternehmen Yellow&Blue, das auf PQ spezialisiert ist.
Dabei geht es der Kölner Firma keineswegs darum, den wichtigsten Technologien für die Energiewende neue Barrieren in den Weg zu legen, schließlich leitet sich allein der Unternehmensname aus dem Farbspiel ab: Grün ist nämlich eine Mischung aus Gelb und Blau, sprich aus Nachhaltigkeit und Technologie. Trotzdem ist es defacto so, dass Elektromobilität Auswirkungen auf das Netz hat. „Die Ursachen liegen erfahrungsgemäß weniger in der Ladeinfrastruktur selbst als vielmehr in den Netzteilen der jeweiligen Fahrzeuge“, so Sehmer. Was auch bedeutet, dass das Störspektrum abhängig davon ist, wie die Ladeflotte gerade bestückt ist.
Umgang mit sensiblen Geräten
Die Niederspannungshauptverteilung (NSHV) ist entscheidend für die Energieverteilung. Dort hängen meist die elektronischen Produktionsanlagen aber oft auch Abgänge, an denen sensiblere elektronische Geräte angeschlossen sind. Für solche sensiblen Geräte gelten zum Beispiel Grenzwerte für harmonische Oberschwingungen bzgl. Spannung nach der Industrienorm EN 61000-2-4 der Umgebungsklasse 1, während für die industrielle Produktion die Umgebungsklasse 2 gilt (u.U. Umgebungsklasse 3). Im Wesentlichen zielen diese elektromagnetischen Umgebungsklassen solcher Störgrößen auf die Störfestigkeit potenziell angeschlossener Geräte, es gelten also unterschiedliche Grenzwerte diverser Parameter in den Umgebungsklassen.
In der Praxis kommt das Thema zunehmend zum Tragen. Das Unternehmen Yellow&Blue berichtet zum Beispiel von einem Unternehmen aus der Kunststoffindustrie, bei dem Anlagenstörungen im Labor aufgetreten sind. Hier zeigten sich auch Grenzwertverletzungen bei der Power Quality in der Klasse 1. Zu diesem Zeitpunkt wurden einzelne Oberschwingungen 5. Ordnung im Frequenzbereich 250 Hz (die etwa von den in der Produktion eingesetzten Frequenzumrichtern stammten) und höhere Anteile für die „gesamte harmonische Verzerrung“ (THD, engl. Total Harmonic Distortion) festgestellt. Die Produktionsumgebung und ein Labor mit sensibler Mess- und Sensortechnik werden zwar über den gleichen elektrischen Anschlusspunkt versorgt, was meist, so Sehmer, ungünstig ist. Doch das PQ-Problem konnte mit einer aktiven Filterung der Störungen behoben werden.
Problematisch wurde es mit der Integration mehrerer Ladesäulen ins Betriebsnetz. Insgesamt tauchten höherfrequente Anteile ab einer Frequenz von über zwei kHz auf, die aufgrund der einstufigen Architektur der NSHV auch auf die Geräte des Labors durchschlugen. „Ladenetzteile von E-PKW erzeugen typischerweise Taktfrequenzen zwischen 10 und 64 kHz“, sagt Sehmer. „Diese supraharmonischen Oberschwingungsanteile stellen eine Störquelle dar, deren Kopplungspfade (die physikalische Strecke, auf der die Störungen zum betroffenen Gerät gelangen) sich nur sehr schwer prognostizieren lassen.
Die Problematik existiere, so Sehmer, mitunter auch bei Wechselrichtern von PV-Anlagen, die Taktfrequenzen von 6kHz bis 22kHz erzeugen. „Unter bestimmten Schaltgerätekonfigurationen können sich solche supraharmonischen Frequenzen sogar verstärken oder auslöschen“, beschreibt der Physiker. Dies könne Überlagerungseffekte auslösen, da sich mit jeder Änderung der Gerätekonfiguration am Netz die Impedanzverhältnisse verändern.
Das Problem, das nicht nur die Kunststoffverarbeitenden betrifft, dabei ist, dass Aktivfilterlösungen meist nur bis zu einer Frequenz von bis 2,5 kHz „arbeiten“. Die hohen Taktfrequenzen der Ladenetzteile und PV-Wechselrichter reduzieren sie also nicht. Eine mögliche Lösung ist hier die galvanische Trennung der Netze, sprich der Einsatz von Transformatoren. Doch dies ist meist eine kostenintensive Maßnahme. Alternativ, jedoch nicht immer hinreichend effektiv ist der Einsatz bestimmter Netzdrosseln bzw. zusätzlicher EMV-Filtern nahe den Störquellen. Insbesondere EMV-Filter müssen aber sorgfältig ausgelegt werden, da es in manchen Fällen auch zu einer Verschlechterung im Netz kommen kann.
Viel Know-how, viele individuelle Ansätze
Der Trend zu steigenden Störemissionen herrscht bereits seit einigen Jahren. Für Till Sehmer ist bei den Themen EMV-Verträglichkeit und Power Quality die Risikobetrachtung entscheidend. Dort gehen etwaige Stillstandskosten, der Anlagenwert oder das Risiko für Folgeschäden an Investitionsgütern als gewichtige Faktoren in die Gesamtbetrachtung der Risiken ein. Dabei gebe es keine Patentrezepte. Die Erfahrungen von Yellow&Blue zeigen, dass die Behebung stets im individuellen Kontext gelöst werden muss. „Das bleibt auch mit der Integration von Erneuerbaren und der Elektromobilität so“, sagt Sehmer. PQ und EMV-Aspekte dürften nicht missachtet werden, auch wenn dies viel Know-how fordert. „Da es sich grundsätzlich nur schwer abschätzen lässt, wie sich neue Leistungselektronik beziehungsweise Werkserweiterungen auf die elektrische Versorgungsqualität auswirken, geht an der individuellen Analyse und Entwicklung von Lösungsansätzen kein Weg vorbei“, so Sehmer. (sg)